Kritische Reaktion auf das Interview in der Zeitschrift Beobachter, das in der März-Ausgabe veröffentlicht wurde

Sehr geehrte Frau Serafini

Nach dem Lesen Ihres Interviews mit Frau Lea Suter habe ich ein gemischtes Gefühl: einerseits verstehe ich Ihren Wunsch etwas gegen die „Entmenschlichung“ der Gesellschaft zu tun. Anderseits empfinde ich, dass solche Gespräche schliesslich eher eine negative Wirkung auf die Gesellschaft haben. Dies, weil die Gedanken, welche Frau Suter äussert, widersprüchlich sind, täuschen und nicht die Realität schildern. Klar, dass jeder eine eigene Realität erlebt, von sich selbst und für sich selbst erschaffen. Doch wenn wir nicht hin und wieder der „Realität ins Auge schauen“, bricht letztendlich auch die eigene Welt zusammen. Und das Wichtigste: Die Positionen, welche Frau Suter vertritt, entlasten diejenigen, welche den Frieden gebrochen haben, von ihrer Verantwortung.

Um nicht unbegründet zu sein, nenne ich Beispiele: Storys der Versöhnung, welche von Frau Suter erwähnt werden, sind sehr beeindruckend und bewegend. Leider, entscheiden sie nichts. Welche „Verbrüderung an der Front“ gab es ja im ersten Weltkrieg! Und dreissig Jahren später haben die „Verbrüderten“ wieder aufeinander geschossen. Und was für Hoffnungen und Erfolge erfüllen die Erwartungen des „West-Eastern Divan Orchestra“, welches für friedliche Lösungen im Nahostkonflikt gegründet wurde und sich immer noch dafür einsetzt. Der heutige Krieg im Nahen Osten zeigt einmal mehr, dass leider auch gemeinsame kulturelle Beziehungen keine Kriege verhindern.

Die von Frau Suter erwähnten Storys sind die Beispiele, in welchen die Opfer auf die Rache verzichten. Eine Friedensexpertin sollte doch in erste Linie Möglichkeiten aufzeigen, dass es keine Opfer gibt, dass Frieden herrscht! Obwohl alle Kriege ähnlich sind, sind sie nicht gleich. Ein differenzierter Blick auf heutige Friedensbrüche in der Welt fehlte bei der Friedensexpertin Suter komplett. Ich habe den Eindruck, dass es leicht ist, sich hinter solcher Titulierung zu verstecken um der Problematik auszuweichen, die Schuldigen als die Schuldigen und den Aggressor als Aggressor zu benennen. Das ist aber letztendlich der einziger Weg (obwohl auch nicht zwingend sicherer, wie die Geschichte uns lernt) - zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Nicht zufällig antwortete Frau Suter nicht auf Ihre direkte Frage, ob man mit Diktatoren verhandeln müsse, sondern sie genügte sich mit banalen, allgemein bekannten und nichtssagenden Sätzen.

Dieser Abschnitt des Gespräches brachte mich „in Verführung“. Tausende von Menschen, darunter auch ich, finden ein besiegtes und demilitarisiertes Russland als eine wünschenswerte Grundlage für einen dauerhaften Frieden in Europa. Frau Suter jedoch nicht. Das erscheint mir eigenartig, besonders wenn man erfährt, dass sie beruflich mit Russland zu tun hatte, als Russland bereits seine Kriege in Tschetschenien, Georgien und Abchasien führte. Würde Frau Suter eine besiegte Ukraine, als gute Grundlage für einen dauerhaften Frieden in Europa befürworten?

Und der Schlusssatz „Was uns am meisten Sicherheit gibt, sind gute Beziehungen“ ist eine offene Provokation. Sollten wir "gute Beziehungen" zu einem Mörder pflegen, zum Kriegsverbrecher? Das gibt und Sicherheit? Diese Aussage ist auch ein Ausdruck von unverhülltem Populismus im Sinne der neuen Neutralitätsinitiative der SVP: „Gute bilaterale Beziehungen zu allen Staaten pflegen“, mit anderen Worten - Profit is the Name of the Game.

"Es steht düster um die Welt", und das macht gemäss Ihrem Artikel die Friedensexpertin Lea Suter traurig. Nach dem Erscheinen dieses Artikels ist es jedoch um die Welt noch düsterer geworden. Zumindest für alle Ukrainerinnen und Ukrainer, sowie Schweizerinnen und Schweizer, welche gegen den mächtigen Aggressor schon seit zwei Jahren Widerstand leisten.

Im Namen mehrerer Hilfswerke, welche sich für die Ukraine einsetzten
Tetyana Polt
Präsidentin der Ortsgruppe UKRAINER IN BASEL
des Ukrainischen Vereines der Schweiz
http://www.ukrainerinbasel.ch/